Christian Wedel - Reiseblog

Hey,

ich bin seit 2016 Digitaler Nomade und reise mit meiner Familie (wir haben zwei Kinder) ständig von Ort zu Ort. Wir arbeiten komplett remote, unsere Kinder gehen nicht zur Schule und hier schreibe ich darüber, wie das so ist so zu leben.

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Extremsituation in Schweden

Ich muss gestehen, die letzten Wochen waren nicht leicht für mich. Etwas grundsätzliches hat sich in meinem Alltag verändert und es liegt hauptsächlich an den äußeren Umständen, nicht an mir. Wie alle meine Probleme. Naja nicht alle. Manchmal liegt es daran, dass ich zu nett bin oder zu klug oder nicht rechtzeitig gesehen habe, dass sich alle gegen mich verbünden… (* Manchmal übertreibe ich bewusst und sage Dinge, die ich genau andersherum meine, um Dinge humorvoll anzusprechen, die auf eine charakterliche Ambivalenz verweisen, die wir, wenn wir ganz ganz ehrlich sind, alle in uns tragen, aber selten zu denken wagen, weil wir tragischer Weise gelernt haben uns selbst als unfehlbar zu definieren und uns deshalb viel zu oft selbst im Weg stehen, um perfekte Beziehungen aufzubauen und zu halten.)

Sechs Wochen sind wir jetzt schon in Schweden und ich habe nur einen einzigen Coffee to go gekauft und unterwegs getrunken. Damit ist mein Outdoor Kaffeekonsum pro Woche um etwa 3 Liter gesunken. Hauptsächlich liegt es an der desaströsen Coffee to go Infrastruktur in unserem Ort. Die meisten Cafés haben geschlossen, keine Kaffeeautomaten am Strand und es gibt nur ein sporadisch geöffnetes Hipster-Café mit Pumpkin-Spice-Vanilla-Cinnamon-Latte-Machiato für 6EUR pro enttäuschendem Schluck. Diesen ganzen extravaganten Firlefanz braucht ja keiner. Mir reicht ein ganz normalen Americano. Also natürlich keinen Filterkaffee, sondern einen ganz einfachen doppelten Espresso mit etwas Wasser aufgegossen. Aus einer normalen Siebtragermaschine. 1/3 Espresso und 2/3 heißes Wasser. Genau 93.0 Grad. Ganz normaler Bio und Fairtrade Espresso, wie immer 100% Arabica, nicht zu fruchtig, aber auch nicht zu mild, voller Körper und wenn möglich so ein ganz leichtes natürliches Vanille Aroma. Vielleicht aus Peru oder Mexiko. Mexikanischer Maragogype wäre super, der ist nicht zu sauer, aber trotzdem fruchtig (Das sind diese besonders großen Bohnen), muss aber nicht sein. Hauptsache nicht länger als 14 Tage nach der Röstung gelagert oder besser ganz frisch geröstet und sowieso direkt vorher gemahlen. Dann ab in den Pappbecher, Plastikdeckel oben drauf und los gehts. Eben einen ganz normalen Coffee to go. Ohne Firlefanz.

Übrigens, falls hier Freunde, Verwandte, richtig gute Geschäftspartner oder sonstige potentielle Geschenkgeber mitlesen, wäre 1kg jamaikanischer Blue Mountain Espresso oder ein vergleichbarer Kaffee ein super Weihnachtsgeschenk. Nur lieber nicht wieder Black Ivory. Ich meine, es ist ja nett gemeint gewesen und ich weiß, dass der teuer war und so, aber jedesmal, wenn ich meinen Gästen einen Black Ivory Kaffee anbiete und das Wort “Elefantenkacke” fällt, trinken plötzlich alle lieber Tee, weil der angeblich gesünder ist. Naja und ich selbst wähle dann doch auch lieber die unverdaute Kaffeesorte. Jetzt stehen da 10kg von dem Zeug in meinem Keller. Einen Kleinwagen hätte man davon kaufen können, aber das Zeug jetzt auf eBay zu verkaufen ist ja auch irgendwie unhöflich. War ja ein Geschenk. Einmal hatte ich versucht einen Kopi Luwak aus dem Black Ivory zu machen und meiner Katze ein paar Bohnen angeboten. Danach war sie total aufgedreht und hat innerhalb von 2h 14 Mäuse und 5 Vögel angeschleppt. Irgendwie hatte ich dann auch wieder vergessen den Katzenkaffee zu ernten. Der liegt jetzt wahrscheinlich irgendwo im Sandkasten der Nachbarn. Die werden die sich freuen, wenn die das finden. Ist ja pures Gold wert.

Jedenfalls bin ich schon 6 Wochen an einem Ort an dem es keinen vernünftigen Coffee to go gibt und ich würde ja gerne sagen, dass es mir nichts ausmacht und ich nicht so an materiellen Dingen hänge und die Natur ist auch so wunderbar und hauptsache gesund und hauptsache Arbeit (das haben früher immer alle gesagt, habe ich aber nie verstanden), aber es ist verdammt hart und ich denke ständig dran. Komme aber damit klar.

Abwasch

Manchmal stehst du einfach nur da, den Blick auf den Abwasch gerichtet, die Hände in den Hosentaschen und im Kopf kreist die Frage: „Kann das nicht jemand anderes machen?“ Du holst dein Smartphone. Musik. Mit Musik wird alles einfacher. Oder ein Hörspiel. Wie hieß das doch gleich? Dieses eine, was du hören wolltest? Wurde das nicht in diesem Podcast auf DLF empfohlen? Du suchst nach dem Podcast, hörst nochmal in die Folge rein, suchst die Stelle mit der Empfehlung… ach ja, das war das. Ach aber eigentlich hast du gerade darauf gerade keine Lust. Doch besser Musik. Vielleicht Indie-upbeat oder so. Obwohl Indie Musik auch nur noch Pop ist. Irgendwie klingt das doch alles gleich. Dieses Gedudel. Vielleicht besser Swing oder noch besser Electro Swing mit coolen Beats. Das passt zum Abwasch… ach ja, der Abwasch. Kann das nicht jemand anderes machen? Du drehst dich um, aber nein. Keiner da außer dir. Abwasch… in Sachsen sagen die immer Aufwasch und Sallat statt Salat. Das hat immer genervt. Früher als du noch in Sachsen gewohnt hast. Also Swing und dann abwaschen. Oder erstmal Facebook checken. Du scrollst, du scrollst und scrollst und dann kommt wieder diese Werbung für diese eine App: „Scrollst du auch ewig durch Facebook und kannst nicht einschlafen?“ Das ist das Zeichen: Du hast zu weit gescrollt! Vielleicht doch erstmal Kraft tanken und eine Serie gucken. Dann geht das mit dem Abwasch auch viel leichter…
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Manchmal stehst du neben dir und guckst dir zu und denkst dir nur: Ogottogott!
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Es gibt gute Tage und Tage, die du einfach nicht zu ernst nehmen solltest.

no money, no problem

Als ich heute auf dem Weg zum Supermarkt war, stand plötzlich ein älterer Mann vor mir und hat mich irgendwas auf lettisch gefragt. Ich sagte, dass ich nichts verstehe und fragte, ob er englisch kann. Dann zeigte er mit seinem Finger auf sein Handgelenk. Ah, die Uhrzeit. Ich zeigte ihm meine Uhr. Dann zeigte er auf einen kleinen Laden und fragte: „can you buy me milk and bread?“ und hielt mir seine Faust zum Fistbump hin. Die Knöchel hatte er mit irgendwelchen Runen tätowiert. Ich sagte „yes“ und machte auch das mit der Faust. So cool wie möglich.
Er nahm mich mit in den Laden, nahm sich einen Korb und ging zur Milch. Er zeigte auf die Packung und guckte mich fragend an. Ich nickte. Er ging weiter und zeigte nach und nach auf Kefir, Brot, Butter und eine Torte. Ich nickte. Er zeigte auf noch eine Torte. Ich nickte. Er zeigte auf noch eine Torte. Wieder nickte ich. Auf dem Weg zur Kasse packte er sich noch zwei Tafeln Schokolade ein.
Als wir an der Kasse standen, musste ich plötzlich an meinen Vater denken. Genauso würde er auch einkaufen. Also ging ich kurz zum Obst und legte ihm noch ein Netz Mandarinen in den Korb. Er nickte.
Nachdem ich bezahlt habe, begleitete ich ihn noch nach draußen und er meinte zu mir: „do you see: No money is no problem“. Ich nickte.

Vor 4 Jahren sind wir aufgebrochen

Genau heute vor 4 Jahren sind wir aufgebrochen. Die Wohnung hatten wir ausgeräumt und alles, was wir nicht unbedingt brauchten, verkauft und weg geworfen. Das Online Business war auch schon gegründet und wir hatten sogar schon einen Kunden und beinahe einen zweiten. Und unsere üppigen Rücklagen reichten aus, um locker 2 Monate Campingplatz zu bezahlen (dank dem ganzen Geld, was wir von den verkauften Sachen eingenommen hatten).
Unsere Familie war komischerweise skeptisch und manche fragten, ob das wirklich eine gute Idee sei ohne festes Einkommen, abgebrochenem Studium und (in deren Augen) ohne Rücklagen einfach aufzubrechen und das Land zu verlassen. Wir haben dann immer beruhigend darauf verwiesen, dass wir ja schon fast zwei Kunden haben und einen Facebook Account und so macht man das heute und das wird schon.
Also sind wir mit dem Fahrrad und diesem Monster von Anhänger Richtung Frankreich losgefahren. Mit 7 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit (bergauf mussten wir zu zweit schieben) und sehr sehr optimistischen Vorstellungen vom Digitalen Nomadentum (wir kannten das ja von Youtube).
Etwa 100km weiter sind wir dann in den Zug gestiegen. Das war lustig. Da haben wir den Umstieg verpasst und… ich glaub der Post wird zu lang, wenn ich darüber auch noch schreibe…
Jedenfalls hat alles genau so funktioniert, wie wir es erwartet hatten, das Business läuft und wir reisen seit 4 Jahren um die Welt.

Come back home

Letzte Nacht stand ich vor der Kirche in Taizé. In meinem Traum war es warm, die Stockrosen blühten und alles war übertrieben gelb. Als ob jemand diesen gelben Fotofilter über alles gelegt hat, der dafür sorgen soll, dass langweilige Bilder irgendwie sommerlich aussehen.
Gerade stand ich vor dem Grab von Frere Roger als plötzlich aus den Lautsprechern der Kirche ein fröhlicher Folksong kam. Der Text bestand nur aus einer Zeile und diese wiederholte sich ständig: „Come back home. Come back home. Come back baby, come back.“
Komisch, dass mir diese großen Lautsprecher direkt über dem Eingang der Kirche nie aufgefallen waren. Irgendwie passen diese riesigen Bahnhofslautsprecher nicht zu dem südfranzösischen Charme dieser romanischen Mauern. Come back home.
Dann bin ich aufgewacht und habe kurz überlegt, ob das eine Eingebung war und mich gefragt, ob Gott, wenn es wirklich wichtig wäre, mir mir Englisch sprechen würde. Dieser Hellseher, den ich mal in Santiago de Composetlla traf, hat mir auch sowas gesagt. Als er mir erzählt hatte, wie er einmal auf der Ladefläche eines LKW nach Mexiko gefahren ist, sich plötzlich die Tür öffnete und drei bewaffnete Mexikaner mit einem Hund vor ihm standen und er schnell noch eine Tarot Karte aus seiner Brusttasche gezogen hat und das die Karte mit den drei Höllenhunden war und er genau wusste, dass es jetzt vorbei sein würde und sich dann aber an nichts weiter erinnerte, außer, dass er eine Eingebung hatte und kurz darauf in einem deutschen Krankenhaus aufgewacht ist. Ausgerechnet, da wollte überhaupt nicht hin. Nach Deutschland. „Gott sprach mit mir auf Englisch“, hat er dann gesagt. Eigentlich hatte er gehört, dass Gott sich in entscheidenden Momenten immer in der Muttersprache an einen wende, aber so war es wohl nicht. Ich weiß gar nicht mehr, was genau Gott ihm gesagt hat. Komisch, die Story selbst war so verrückt, dass ich mich nicht mehr an Pointe erinnern kann.
Come back home. Noch eine ganze Weile musste ich daran denken, was das wohl zu bedeuten hat oder ob das überhaupt irgendwas bedeutet. Soll ich zurück nach Taizé? Oder soll ich meinen Glauben wiederfinden? Und was hat das Grab zu bedeuten?

Riga – 25.Sep 2020

Etwas komisch ist das. Ich meine Riga ist toll und lebenswert, aber das kann dir hier jederzeit passieren und ich weiß noch nicht genau, wie ich das einordnen soll:
Du läufst so auf der Straße, siehst ein tolles Hipster-Café, merkst, dass du gerne einen Kaffee hättest und gehst rein und freust dich, weil alles so skandinavisch-industriell mit individuellem Touch eingerichtet ist und stellst dich an die Theke. Aber da ist keiner. „Macht nichts“, denkst du dir, „da kommt bestimmt gleich einer und fragt was ich haben will.“
Und dann siehst du schon, dass da eine gut gekleidete Barista mit schwarzem Barista-Outfit, kurzen blonden Haaren und einigen Tatoos um die Ecke kommt und übst schon heimlich im Kopf, wie du auf lettisch einen Kaffe bestellen kannst, weil du gehört hast, dass es hier sehr gerne gesehen wird, wenn du lettisch sprichst und dann geht sie einfach an dir vorbei. Ohne dich anzugucken. Sie setzt sich an einen Tisch, schlägt ein Buch auf und schreibt erstmal ein paar Zahlen auf. „Naja“, denkst du dir „das ist jetzt bestimmt sehr eilig und sie hat bestimmt gerade kompliziert gerechnet und muss sich Zahlen merken und die erstmal aufschreiben.“
Sie schreibt also und du stehst da und guckst dir nochmal die Speisekarte an („wow so viele vegane Sachen hier“, denkst du dir „aber ganz schön teuer“), wählst dich ins WiFi ein, überfliegst die letzten Artikel in „Die Zeit“, merkst, dass die Welt ein schrecklicher Ort ist und die Autoren der Zeit auch mal mehr Stil hatten, schreibst ein wütenden Kommentar zu einem blöden Artikel, löscht ihn dann aber doch wieder, weil du ja eigentlich dem Negativen keine Macht geben willst und dich lieber auf das Positive und die Liebe konzentrieren willst und zwischendurch versuchst du immer mal wieder Augenkontakt mit der Barista herzustellen, weil du dir langsam auch nicht ganz sicher bist, ob sie überhaupt weiß, dass du da bist. Dann hustest du mal kurz. Hilft aber auch nicht. Du hustest nochmal, etwas lauter (in die Armbeuge, nicht in die Hand). Dann lässt du es aber auch sein, weil du nicht so recht weißt, ob das heutzutage noch so gemacht wird, dass du dich räusperst, wenn du Aufmerksamkeit haben willst. Ich meine, mit Corona hat sich ja so einiges geändert und eine Maske hast du auch gerade nicht an, weil du die vergessen hast und es hier aber auch nie auffällt, weil hier in Lettland keiner eine Maske trägt und es ja auch kaum Fälle gibt. Und plötzlich steht sie vor dir und sagt irgendwas, was wie „Dobre!“ klingt. Du erschreckst dich, tausend Gedanken komm dir gleichzeitig in den Kopf, „Wo kommt die denn her?“, „Dobre ist doch polnisch? Sagen die hier nicht eigentlich Labdiem oder so?“, „was wollte ich eigentlich nochmal?“, „Soll ich jetzt noch so ein Energiebällchen nehmen oder nicht?“, „ach ja Kaffee…“ und du stammelst irgendwas von „I, ähh, take, ähh, would like to have, ähh, ähhn americano, please, ähh paldies!?“, fässt dir dabei nervös an den Schnurrbart und versuchst mitleidig zu lächeln. Und die Barista verzieht keine Miene und sagt nur „Please sit down. I will brink it!“.

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